Im August 2020 wurde im Freilichtmuseum von Mértola eine Reihe an Objekten abgegeben, die sich seit einigen Jahren in der Obhut der Diözese von Beja befanden und der Werkstatt der Pfarrkirche von der Gemeinde Mértola gehören. Die beiden Monstranzen aus dem 17. Jahrhundert und ein Exvoto an Jesus Christus aus dem 19. Jahrhundert wurden umgehend in den Ausstellungsort Arte Sacra integriert. Eine Kasel, die auch Teil der Reihe war, wurde als Vorrat aufbewahrt, da für ihre Erhaltung ein bestimmter Schaukasten mit angemessenen Bedingungen erforderlich war. Für die Kasel, die nun in den Ausstellungsort Arte Sacra im Hauptteil der Mutterkirche integriert ist, wurde ein Schaukasten errichtet, der nicht nur die Voraussetzungen für die Erhaltung des Ausstellungsstücks erfüllt, sondern ihm auch die gewünschte Sicherheit und Bedeutung gewährt.
“Ornate wurden schon immer als sehr wertvolle Stücke betrachtet, sowohl aufgrund der prächtigen Materialien aus denen sie hergestellt wurden, als auch aufgrund der Tatsache, dass sie das Ergebnis der Mitwirkung verschiedener Handwerker und Künstler waren, was ihnen einen unschätzbaren Wert verschaffte. Genau aus diesem Grund gingen bei uns einzigartige Stücke von bemerkenswerter Schönheit ein. Zu ihrer Schönheit trug bei, dass sie ausschließlich an bestimmten Tagen im Jahr (zu sogenannten liturgischen Zeiten) verwendet wurden und dass sie eine besondere Pflege erhielten, da es sich um Stücke handelte, die zum Gottesdienst gehörten.”.
Die Kasel der Mutterkirche stammt aus dem 16. Jahrhundert. Sie ist aus karminrotem Samt gefertigt und mit Stickereien verziert. Die dekorativen Motive auf Leinen mit Goldstickerei bestehen aus ausgeschnittener Seide, die von einem blauen Faden umrandet ist. Neben Pflanzenelementen repräsentieren die Motive auch Zentauren, ein Einhorn und andere Tiere wie Vögel und Kaninchen. „Man kann sehen, dass (…) Leinen als Grundlage und Seide für die Verzierungen auf dem gestickten goldenen Hintergrund verwendet wurde. Das goldene Gelb ist für diese Zenturie eine typische Farbe, denn Sie wird häufig auf den Wandteppichen, Tagesdecken und in den Stickereien des 16. Jahrhunderts vorgefunden. Aus dieser Zeit stammt auch die Galone, welche den Mittelstab verziert. Daraufhin deuten die Fransen und die Carina, die den Abschluss bilden. Die Verzierung von Stoffen durch die Verwendung anderer Stoffe aus dem 16. Jahrhundert (gefärbte, gewebte, andere aufgebrachte Stoffe oder Stickereien) wurde oft durch den Abschluss von Fransen und Rändern/Gasten ergänzt”.
“Die mythologische Darstellung auf dem Mittelstab vereinbart klassische Themen, die für den Westen typisch sind, mit orientalischen Elementen. Wenn man die das Bild aus ikonographischer Sicht betrachtet, dann kann man feststellen, dass man es auf zwei Art und Weisen interpretieren kann, die zwar unterschiedlich sind, sich jedoch ergänzen. Dem Einhorn“ werden gleichzeitig die Gabe der heidnischen Reinheit, die Keuschheit und die Fleischwerdung Christi, reine christliche Vorstellungen, zugeschrieben. Die Zentauren, zusammengesetzte Figuren, (…) enthüllen ungezügelte, sogar böse Instinkte. (…) Der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Geist und Materie, zwischen spiritueller und der weltlicher Macht ist ein Thema, das die Zivilisationen im Abendland und Morgenland schon immer beherrschte. Zentauren suchen das Einhorn. Zwischen ihnen besteht ein Zusammenhang, der in der Komposition die Mittelachse bildet. Im mythologischen Raum findet sich auch das Kaninchen/der Feldhase (ein Symbol der Liebe und der Lust, da das Tier für fruchtbar gehalten wird) und der Vogel – Elemente, die uns zurück in die Realität führen. Deshalb werden sie als gemischte Verzierungselemente bezeichnet: Sie bringen die fantastische Welt näher an die wirkliche Welt”. (…) Es ist nicht unangebracht, die Komposition des Mittelstabs nicht nur als Geschichte, sondern auch als Symbolik zu betrachten. In der Gesamtheit gesehen lässt sich behaupten, dass die Bedeutung der Kasel sich von ihrer scheinbaren Darstellung unterscheidet, denn Sie zeigt das Symbol eines Einhorns – an einer hervorgehobenen, dominanten Stelle” .
“Die dekorativen Pflanzenmotive sind zwar einfache Darstellungen, sie bilden jedoch Gruppen. Auf der Kasel von Mértola sind Pflanzenmotive von geschwungenen, durchgängigen Stängeln zu sehen (weit verbreitet in der indoportugiesischen Kunst), die sich kräuseln, und die ein oder andere Verzierung bilden, das ein oder andere Blatt auf der Gegenseite tragen. Das Motiv der Lotusblume, die das gesamte 16. Jahrhundert durchläuft, wurde in der Form eines offenen Granatapfels erarbeitet, mit verzerrten Blättern. Eine mögliche Stilisierung dieser Blume kann man auf der Kasel finden, wenn man sich auf die Gestalten der italienischen und spanischen Samtstoffe bezieht – die verzerrten Blätter, der belaubte Stängel und die knolligen Blüten sind vorhanden.”.
(…) “Folgende Fragen bleiben offen: Die Kasel der Mutterkirche von Mértola stellt keine Kasel dar, die typisch für das 16. Jahrhundert ist. Zudem ist bereits der Mittelstab allein ein Ausnahme-Exemplar. Man stellt daher die Hypothese auf, dass ein anderes Stück wiederverwendet wurde, das von einem Querbehang, von einer Predella oder sogar von einer indoportugiesischen Tagesdecke stammt” .
„Allerdings ist es trotzdem schwer zu verstehen, warum es sich bei dieser Kasel nicht um ein Stück handelt, das den Mustern seiner Zeit entspricht. Natürlich ist es wahr, dass es weitaus kostengünstiger ist, zur Herstellung einer Kasel mit bereits vorhandenen Stücken eine Anpassung oder eine Aufbringung vorzunehmen, anstatt eine Stickerin oder einen Kasel-Fachmann zu beauftragen, ein Original anzufertigen. Eine solche Verwendung von Teilstücken und die Anpassung wäre für das 16. Jahrhundert eine unkonventionelle Vorgehensweise“. Die Religiosität des 16. Jahrhunderts verpflichtete in der Regel zur Einhaltung der von der Kirche gesetzten Maßstäbe. Jedoch kam es durch den Zugang zu neuen, wertvollen Materialien und die Verbindung der Handwerker zu ihrer unglaublichen Renaissance-Fantasie dazu, dass Werke entstanden, die kaum einzustufen sind. Womöglich ist die Kasel der Mutterkirche von Mértola eines dieser Werke. Obwohl sie den üppigen Kult der katholischen Zentren nicht widerspiegelt, stellt sie auf eine gewisse Art und Weise den Reichtum an Zierkunst des 16. Jahrhunderts dar. Ihr zentraler Wert liegt darin, dass man sich gegen Vergeudung oder Gleichgültigkeit der Menschen über Jahrhunderte hinweg wehrte“.
Die Stadtverwaltung Mértola und das Freilichtmuseum Mértola danken der Diözese von Beja und der Werkstatt Fábrica da Igreja Paroquial der Gemeinde Mértola und Pater António Marques de Sousa für die Rückgabe dieser Objekte an ihren Ursprungsort. Wir laden die Bevölkerung des Kreises Mértola ein, den Ausstellungsort Arte Sacra (wieder) zu besuchen und sich an diesem Erbe, das Allen gehört, zu erfreuen.
1 Kasel – Ein religiöses Ornat, das der Priester zur Feier des Gottesdiensts über der christlichen Albe trägt.
2 Ornat – Kleidung des Priesters bei religiösen Zeremonien. Die Albe ist eine Art weiße Tunika mit Ärmeln, die in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters von Laien und Klerikern, aber später, im 13. Jahrhundert, nur als priesterliche Kleidung unter der Kasel getragen wurde.
3 NOGUEIRA, Magda und VALENTINA, Silva, „A Casula quinhentista da Matriz de Mértola“ in, Arqueologia Medieval 3, Porto, Ed. Afrontamento, 1993, S. 233.
4 Galone – Ein geflochtener Streifen mit Silber, Gold, Seide, Baumwolle, Leinen, der zum Säumen oder Verzieren verwendet wurde.
5 Mittelstab – Stoffstreifen mit einer anderen Farbe, der auf Gewändern und anderen Kleidungsstücken als Verzierung dient. Verzierung von Kleidern, Ornaten.
6 NOGUEIRA, Magda und VALENTINA, Silva, „A Casula quinhentista da Matriz de Mértola“ in, Arqueologia Medieval 3, Porto, Ed. Afrontamento, 1993, S. 235.
7 Besitz Einhorn – Es handet dieselbe Bedeutung wie ein Fabeltier, das einem Pferd ähnelt, normalerweise weiß ist und ein spiralförmiges Einhorn hat. Sein Bild wird mit Reinheit und Kraft verbunden,
8 NOGUEIRA, Magda und VALENTINA, Silva, „A Casula quinhentista da Matriz de Mértola“ in, Arqueologia Medieval 3, Porto, Ed. Afrontamento, 1993, S. 235.
9 Querbehang – Langer Streifen, der den oberen Teil eines Vorhangs schmückt.
10 Predella – Unterer Teil eines Retabels, der aus einem oder mehreren Paneelen besteht und einen Rand bildet, üblicherweise mit gängigen Figuren, die in Zusammenhang mit der Komposition stehen oder ein besonderes Thema repräsentieren.
11 NOGUEIRA, Magda und VALENTINA, Silva, „A Casula quinhentista da Matriz de Mértola“ in, Arqueologia Medieval 3, Porto, Ed. Afrontamento, 1993, S. 235.
12 IBIDEM, S. 236.